Eine kleine, idyllische Stadt
in Schweden. Die gerade 18 gewordene Nelly (Inga Landgré) lebt in einfachen
Verhältnissen bei ihrer Ziehmutter Ingeborg (Dagny Lind), die sich als
Klavierlehrerin ihren Unterhalt verdient. Doch die Idylle ist getrübt als
Nellys leibliche Mutter Jenny (Marianne Löfgren) zu Besuch kommt. Jenny ist
wohlsituierte Inhaberin eines Schönheitssalons in der nahen Großstadt. Als sie
Nelly, mit einer Stelle in ihrem Salon, ein besseres und finanziell
abgesichertes Leben verspricht, bringt dies die zudem noch schwer erkrankte
Ingeborg in Verlegenheit und stürzt sie in eine psychische Krise. Nelly, die
keinerlei Zukunftsaussichten in der Kleinstadt zu erwarten hat, ist hin und
hergerissen. Einerseits angezogen von der verführerischen Materialität, die
ihre Mutter Jenny ausstrahlt anderseits verbunden und loyal zu ihrer
Ziehmutter, von der sie aufrichtig geliebt wird. Jennys Liebhaber, der
erfolglose Schauspieler Jack (Stig Olin), ist ihr nachgereist. Bei einem Ball,
in der Kleinstadt, macht er ihr Avancen, ganz zum Leidwesen von Ulf (Allan
Bohlin), dem älteren Jugendfreund von Nelly, der sie schon lange liebt. Bei dem
Ball kommt es nicht nur zwischen Jack und Ulf zum Eklat sondern auch zwischen
den Erwachsenen und der Jugend, als Jack im Raum nebenan eine Jazz Session
initiiert. Nelly zieht in die Großstadt, hat eine eigene Wohnung, schicke
Kleider und arbeitet in Jennys Schönheitssalon. Als Ingeborg sie im
Schönheitssalon besucht, fühlt diese sich völlig entfremdet. Nachdem sie mit Jenny und Nelly zu Abend ißt, verläßt sie die Wohnung und trifft auf Jack. In einem
Gespräch zwischen Jack und ihr, unter vier Augen, erzählt er ihr, dass er
keinerlei Liebe für Jenny empfindet und sich nur von ihr aushalten lässt. Er
erzählt ihr außerdem von seinem egoistischem Narzissmus als Schauspieler und
Lebemann, der sich auch in seiner „gespielten“ Liebe zu Nelly wiederfindet.
Völlig niedergeschlagen und geplagt von Selbstzweifel fährt Ingeborg mit dem
Zug zurück in die kleine Stadt. Kurz darauf verführt Jack Nelly in Jennys
Geschäft. Sie werden dabei von Jenny ertappt und es kommt zu einem wilden
Disput, der mit Jacks Selbstmord, vor dem Geschäft, endet. Nelly reist
daraufhin zurück zu Ingeborg, die erneut Mut gefasst hat, den Kampf gegen ihre
unheilbare Krankheit nicht aufzugeben. Ulf und Nelly begegnen sich wieder, für
die sich eine gemeinsame Zukunft andeutet.
Ingmar Bergmans Drehbuch zu
Alf Sjöbergs Die Hörige (1944)
brachte ihm einiges an Anerkennung ein und so kam es, dass Svensk Filmindustri,
wo er als Drehbuchautor angestellt war, ihm anbot selbst Regie zu führen bei
der Verfilmung eines populären Theaterstücks des dänischen Dramatikers „Leck
Fischer“. Bergman bearbeitete das Stück und schrieb selbst das Drehbuch nach
der Vorlage von Moderhjertet,
wie das Stück hieß. Kris war weder ein kommerzieller, noch ein
Kritiker Erfolg und viel in allen Belangen beim damaligen Publikum durch.
Wenn man dieses Debut aus heutiger Sicht betrachtet
und vor allem retrospektiv innerhalb unserer Reihe in das Gesamtwerk Bergmans einordnet
ist es jedenfalls bemerkenswert zu sehen, wieviel Bergman schon in diesem
Erstlingswerk steckt. Doch ich greife vor, denn zunächst begann unsere
Unterhaltung, nachdem wir den Film Anfang des Jahres sahen, mit einer
Diskussion. Andreas und
ich waren uns diesmal nämlich gar nicht so einig, wie sonst innerhalb der
Retrospektive. Am Ende trafen wir uns dann mehr oder weniger in der
goldenen Mitte.
Auch
wenn ich sagen muß, dass Kris kein vollends gelungener Film ist, da in der Tat,
die Komplexität der Charaktere in diesem Drama sehr eng gestrickt ist, etwas
was man in den nachfolgenden Filmen schon weitaus besser zu sehen bekommt und
was nur ein paar Jahre später, ab den 50ern meisterhafte Qualität annimmt. Man
könnte auch sagen, dass Kris ein Film ist der thematisch schon einiges erkennen
läßt aber im Korsett eines mittelprächtigen Melodrams gefangen ist.
„Let
the Play begin. I wouldn´t call this a great or harrowing tale. It
really is just an everyday drama. Almost a comedy” kündigt der Erzähler an, während
Jenny mit dem Bus in der kleinen Stadt ankommt. Es ist im Grunde die kleine Welt, die hier von der großen Welt heimgesucht wird, die
Ingmar Bergman in so vielen Filmen beschrieben hat bzw. der Konflikt zwischen
diesen Welten.
Ein
großes Thema in Kris lautet „Kritik am Materialismus“. Ingeborg, die uns als gütige
und sorgende Ziehmutter vorgestellt wird hat zu Beginn alle Hände voll zu tun
sich auf listige Weise Geld zu leihen. Zuerst von ihrer Haushälterin, dann von
Tante Jessi, die bei ihr im Haus wohnt. Ingeborg ist arm und verdient gerade
das nötigste um sich und Nelly zu ernähren. Als Jenny die Szenerie betritt,
verkörpert sie ganz und gar eine Frau mit Besitz, die Geld hat und sich Nelly
auch „leisten“ kann, was im folgenden Gespräch zwischen ihr und Ingeborg auch
deutlich wird ansonsten aber nicht weiter hinterfragt wird.
Noch
deutlicher dagegen ist Jennys Beziehung zu Jack, dem Sohn ihres Halbbruders.
Jack, der Nachtschwärmer und erfolglose Schauspieler ist ihr nachgereist, nicht
weil er Sehnsucht nach Jenny hat, sondern weil ihm wieder einmal das Geld
ausgegangen ist. Er hat auch keinerlei Schamgefühl, das offen auszusprechen.
Jenny sieht Jack genauso wie ihre Tochter Nelly als ihren Besitz an. Ihn weil
er jung und gutaussehend ist und sie weil sie ihr Fleisch und Blut ist. In der
Figur von Jack kann man dann auch schon so etwas wie einen Bergman Prototyp
erkennen. Der Schauspieler, der hinter seiner Maske mit seinen Narzissmen und
Existenzängsten kämpft und leidet, der nur etwas „vorspielt“. Als Jack sich mit
Ingeborg im Bahnhof unterhält, öffnet er sich für einen kurzen Moment und
erzählt ihr von dem diabolischen Kreis in dem er sich befindet in dem er sagt,
dass Jenny ihn aushält und er Nelly aushält, er aber diese oberflächliche Maske
ablegen möchte, Jenny mit seinem wahren „Ich“ konfrontieren wird um ein armes
Leben in Freiheit zu führen. Als er am Ende abgewrackt und ohne seinen
Nadelstreifenanzug in den Schönheitssalon kommt zeigt sich sein wahres, an der
Welt des Scheins zerbrochenes, Gesicht. „You bought me
as a lover, cause you´re too old” raunzt er Jenny entgegen. Es ist genau diese gnadenlose
Offenheit, die man auch schon in “Kris” finden kann und die zwar nicht
ausgereift aber doch in Nuancen schon vorhanden ist.
Die
„Ball-Szene“ auf der Jack, Nelly betrunken macht und die Jugend im Saal nebenan
versammelt um eine Jazz Party zu schmeißen, während die Erwachsenen Wiener
Walzer tanzen, zeigt zum ersten Mal das ewige Aufbegehren der Jugend gegen die
steifen Strukturen der erwachsenen Welt. Ein roter Faden, der sich bis zu Zeit mit Monika zieht und sich sogar
darüber hinaus als Kontrast zwischen Liberalität und Konservatismus komplett
durch sein Schaffen zieht. Es sind auch diese Vorkommnisse auf dem Ball, die in
der kleinen Stadt ihre Runde machen, wo Nellys Benehmen als Skandal angesehen
wird und sie den Entschluss fasst endgültig in die große Stadt zu Jenny zu
ziehen.
Am
Ende, nach dem tragischen Selbstmord von Jack kehrt Nelly zurück. Die „kleine
Welt“ hat sie wieder und wir sehen zwei Menschen, die zusammengehören. Nelly
und Ulf, deren Beziehung zueinander vor allem von Nellys Wunsch nach Ausbruch
geprägt war und Ulf ganz bürgerlichen Traditionen verhaftet, ihr väterliche
Liebe entgegenbringt.
Die
titelgebende Krise ereilt hier 4 Personen. Ingeborg, weil sie ihrer Ziehtochter
nicht das bieten kann, was Jenny ihr bietet und zu ihrer Krankheit sich
Selbstzweifel gesellen. Nelly, die sich am Ende, nach Jacks Tod, fast das Leben
nimmt und feststellen muß, das alles Lug und Trug gewesen ist. Jenny, die Jack
und ihre Tochter verliert und am Ende als alte, verlorene Frau in den Spiegel
blickt und Jack, der sich das Leben nimmt, weil er das ständige „Spiel“ nicht
mehr ertragen kann.
Stilistisch
lehnt sich Bergman in seinem Debut besonders zum Ende hin stark an den
„poetischen Realismus“ an. Es gibt auch eine Szene, die an Luis Buñuel erinnert, den Bergman stets bewundert
hat und die insofern stark ist, da sie die Zerrissenheit Ingeborgs filmisch
visualisiert, in dem ihre Gedanken sich mit der Erinnerung vermischen und sie
sich selbst in Frage stellt.
Es ist diese Szene im Nachtexpress, die stilistisch besonders heraussticht zugleich auch die einzige Szene innerhalb des Films, wo Bergman kurz zum Kern dieser Figur der Ingeborg dringt. Vorher kann man diesen Prozess, der in ihr vorgeht nur erahnen, was an der allgemeinen manierierten Theaterhaftigkeit liegt, mit der die Personen spielen und untereinander agieren. Richtig greifbar ist hier keine Person. Gerade ein Mutter-Tochter Konflikt, wie ihn der unerwartete Herbstsonate Querverweis mit sich bringt, dass eine Mutter ihre Tochter, die sie nicht selbst aufgezogen hat , nach Jahren besucht, bleibt aus. Die Personen, auch Jack, stecken alle in einer Schablonenhaftigkeit, die meilenweit entfernt ist von der Dreidimensionalität der späteren Bergman Charaktere. Doch vieles ist eben schon da, wenn auch im Kleinen. In den Dialogen steckt teilweise eine ungeschönte Offenheit, die wiederum von klischeehafter Melodrama Inszenierung übertüncht wird und es kündigen sich Themen an, die Bergman durch sein gesamtes Werk verfolgen werden.
Kris
ist kein mißlungener Einstand aber einer der letztendlich eher durch seine
Retrospektivität besticht als das er gänzlich überzeugen kann. Ein solides,
schlichtes Melodram, welches vor allem Kasse machen sollte, aus dem man, wie
oben geschrieben, eben dann doch schon etliches herauslesen kann. Zu guter
Letzt ein kleiner Hinweis auf den Eintrag, den Marcos Ewert auf seinem Blog zu Kris
geschrieben hat.
5-6/10
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