30 Jahre nach Szenen einer Ehe. Marianne (Liv Ullmann) sitzt, im Prolog, vor einem Berg von Fotografien und sinniert über sich und vergangene Zeiten. Sie denkt über ein Wiedersehen mit Johan (Erland Josephson) nach, den sie besuchen möchte. Johan lebt im Haus seiner Eltern, zurückgezogen, in der Provinz Dalarna. Als Marianne überraschend auftaucht, läßt er sich nur äußerst widerwillig auf ein Treffen mit ihr ein. Sie beschließt den Sommer über zu bleiben und gerät langsam vom Scherbenhaufen ihrer vergangenen Ehe mit Johan sogleich in den nächsten, als sich durch Gespräche die derzeitige Familiensituation Johans vor ihr auftut. In einer kleinen Blockhütte, nahe des Elternhauses, wohnen Johans Sohn Henrik ( Börje Ahlstedt), ein gescheiterter Musikprofessor und seine Tochter Karin (Julia Dufvenius), die von ihrem Vater im Cello Unterricht für die Aufnahmeprüfung an einem Konservatorium vorbereitet wird.
Henrik nutzt seine Beziehung zu Karin schamlos, bis zum Inzest, aus. Aus falschem Ehrgeiz, seine Tochter in musikalische Höhen zu bringen, die ihm verwehrt blieben, macht er sogar Schulden bei seinem Vater um ihr ein teures Musikinstrument zu kaufen. Die Beziehung von Henrik zu Johan ist von tiefem Hass gegenüber seinem Vater geprägt, der wiederum seinem Sohn mit spöttischer Gleichgültigkeit begegnet. Karin zeigt Marianne einen Brief von Anna, der verstorbenen Frau von Henrik, deren Tod immer noch auf allen Schultern der Familie lastet. In dem Abschiedsbrief der Mutter drückt Anna das Unbehagen gegenüber der Beziehung ihres Mannes zu Karin aus und rät ihr ihren eigenen Weg zu gehen. Als Karin die Beziehungen von Johan in den Wind schlägt um an einer berühmten Akademie vorzuspielen und stattdessen nach Hamburg geht um Orchestermusikerin zu werden, unternimmt Henrik einen Selbstmordversuch auf den Johan nur mit zynischem Spott reagiert. Zwischen Johan und Marianne breitet sich, trotz einer langen Aussprache im Bett, ein Band des Schweigens aus.
Im Epilog erörtert sie noch einmal die Geschehnisse und zeigt sich fasziniert von Anna. Sie reflektiert dies für ihr eigenes Leben und besucht ihre Tochter Martha (Gunnel Fred) im Pflegeheim, die sie seit Jahren vernachlässigt und nicht gesehen hat.
Sarbande ist Bergmans letzter Film und zwar mit
Vorankündigung. So wie Marianne am Anfang des Films über ihre damalige Beziehung
zu Johan nachdenkt, so kam dem 84jährigen Ingmar Bergman auch im Sommer 2001 die
Beziehung der beiden Protagonisten aus Szenen einer Ehe, in den Sinn, als er an
einer Ibsen Übersetzung arbeitete. Allerdings sollte diese neue Idee keine
reine Fortsetzung des großen Erfolgs von 1972 sein. Erland Josephson und Liv
Ullmann, die seit langem nicht mehr vor der Kamera stand, konnte er wieder für
ihre Rollen von damals gewinnen. Sein Freund und Stammkameramann Sven Nykvist
dagegen war sehr schwer krank und so kam es, dass der Film, eine Coproduktion
vom schwedischen Fernsehen, von 5 verschiedenen Kameramännern gefilmt wurde und
Bergman seinen ersten HDTV Film drehte. Die Produktion trug zuerst noch den
Titel „Anna“, nach Johans zweiter
Ehefrau, die mittlerweile verstorben war und wurde erst später zu „Sarabande“.
Der Familenstammbaum wurde neu sortiert. Aus Anna wurde die
verstorbene Ehefrau von Johans Sohn Henrik. Dieser wiederum entsammt aus einer
früheren Beziehung Johans, die er vor seiner Ehe mit Marianne hatte. Den Titel,
dieses 4-Personen Kammerspiels, entlieh er einem barocken Tanz und erklärte,
dass sein Drehbuch aus 10 Kapiteln besteht, die er nach Bachs „Kunst der Fuge“ arrangiert
habe, in der jedes Instrument von gleichem Gewicht ist. Bergman läßt jeweils
immer zwei Personen auftretetn und miteinander reden : Johan und Marianne,
Johan und Henrik, Johan und Karin, Karin und Marianne usw.
Über Sarabande
hatte ich nicht viel gelesen und tatsächlich eine Fortsetzung von Szenen einer Ehe in dem Sinne, dass es
zu einem Fazit und einer Aussprache zwischen Marianne und Johan kommt,
erwartet. Dieses Fazit samt Aussprache ist auch Teil von Sarabande und genauso beginnt auch der Film, doch geht Bergman hier
einen Schritt weiter indem er ein ziemlich komplexes Familienporträt zeichnet samt
schwierigster Vater-Sohn-(Enkel)Tochter Beziehung. Es gibt Marianne und ihre Tochter Martha, Johan und seinen Sohn Henrik, Henrik und seine Tochter Karin, Johan und seine Enkeltochter Karin und Anna und Karin.
Bergmans letzter Film ist
kein versöhnliches Alterswerk geworden. Ganz im Gegenteil zeigt er hier
schonungslos die gleichen Themen wie immer ohne Verklärung oder Milde und das
obwohl der Film nicht unversöhnlich endet.
Sarabande zeigt ein vollkommen zerrüttetes Familienbild.
Während Szenen einer Ehe die Kinder
fast vollständig aussparte und sich auf die Paarbeziehung zwischen Marianne und
Johan konzentrierte, spielen hier nun die Kinder die Hauptrolle und Marianne
und Johan bilden den Rahmen dafür bzw. mehr noch Marianne. Sie ist die Führerin
durch diese Eltern-Kind-Beziehung. Die Beobachterin, die für sich und für uns
als Zuschauer eine Erkenntnis aus den Ereignissen zieht und am Ende für sich
handelt. Bergman geht hier mit diesem Rahmen, was das Medium angeht, nicht so
selbstreflexiv um, wie in Die Stunde desWolfs. Hier, in Prolog und Epilog, dient die direkte Ansprache in die
Kamera in sehr persönlichem Sinne dazu, um besonders die Stellung Mariannes
kenntlich zu machen, die uns weniger als Akteurin sondern mehr als zweiter Zuschauer
durch die Geschehnisse leitet um sich selbst Bewusst zu werden.
Wie schon in früheren Filmen beschreibt Bergman wieder
einmal eine Welt in der die Menschen nicht mehr fähig dazu sind richtig zu
leben und sie ohne Liebe in eine tiefe Orientierungslosigkeit fallen. In diesem
Trübsal gibt es aber einen Menschen, innerhalb der Familie, zu dem alle
aufblicken.
Es gab Anna und es gab Annas Liebe.
Wie in Schreie und Flüstern ist es auch hier „Annas Liebe“,
die den Personen einen letzten Halt gewährt, doch hier ist dieser Halt nur noch
eine Erinnerung. Da ist Karin, die die Liebe der Mutter und ihre Verbundenheit
erlebt hat und die dann in dem Abschiedsbrief erfährt, wie sehr ihre Mutter sie
liebt, in dem sie ihren Mann Henrik bittet ihr Kind freizugeben. Selbst Johan
wird aufrichtig wenn er an Anna denkt und Henrik verliert sich in
Suizidgedanken und stürzt sich noch mehr in die unheilvolle Beziehung zu seiner
Tochter.
Anna hatte die Fähigkeit zu lieben. Ihr Verlust wirft die
Menschen in Sarabande zurück in die Kälte. Es ist diese Liebe gewesen, die das
einzig humane, sinnstiftende und lebendige in dieser Familie war. Ohne diese
Liebe scheitern alle und dies zeigt Bergman konsequent. Als Karin wirklich
ihren eigenen Weg geht um das Erbe ihrer Mutter anzutreten, ist dies nur ein
kleiner Lichtblick. Henrik ihr Vater scheitert und ist dabei in seinem
Scheitern seinem Vater sehr ähnlich. Fast schon wie eine Karikatur von Johan,
der anders als Henrik eine Art Schutzmechanismus über die Jahre aufgebaut hat,
der aber nur auf sein verkommenes Inneres verweist. Genauso wie Henrik seinen
Vater hasst, verachtet Johan seinen Sohn. Er verachtet dabei das, was er im
Grunde selbst ist, schwach und hilflos. Nur die innere Kälte und Härte hält ihn
noch am Leben. Henrik wirft sich in seiner Unfähigkeit auf seine Tochter und
Bergman deutet diese fehlgeleitete Vaterliebe als inzestuöses Verhältnis an.
Gleich zu Beginn des Films schildert Karin, Marianne in
einer Rückblende das Verhältnis zu ihrem Vater. In der kleinen Hütte kommt es
während sie mit ihrem Vater probt zu einem heftigen Streit, der damit endet,
dass ihr Vater versucht sie zu vergewaltigen. Es ist die erste Szene in der wir
Henrik zu Gesicht bekommen, vor einer roten Wand, die als Karin im Nachthemd in
den Wald hinausläuft, sich als Tür entpuppt.
Bergmans rote Seelenwände aus Passion, Schreie und Flüstern und Fanny & Alexander
öffnen sich und werden zu einem Verweis auf Die Jungfrauenquelle, der ebenfalls in der Provinz Dalarna gedreht wurde.
So wie Johan Henrik seine Liebe verweigert, hat Marianne
jahrelang ihrer Tochter die Liebe verweigert, was wir nur aus Gesprächen
erfahren. Marianne beschreibt ihre Tochter Martha zweimal als einen Menschen,
der sich völlig in sich zurückgezogen, total isoliert hat und sagt über sie :“Sie
erkennt mich nicht einmal.“ Bergman zeigt das Bild eines Menschen, der ohne
Liebe, ohne Berührung verkümmert und nicht leben kann. Dabei ist die „Berührung“
am Ende des Films keine Geste sondern kommt einem Erleben von Lebendigkeit
gleich, der einzige Weg sich selbst zu spüren. „Ich habe meine Tochter berührt“
ist das, in den letzten Jahren, sich Bewusst werden von Liebe über die
Erkenntnis.
Wenn man die Liebe, die in Bergmans Filmen, besonders in
denen mit religiösen Motiven, als abwesend betrachtet, ist besonders die Szene
in der sich Marianne und Henrik in der Kirche treffen, faszinierend, da diese
Szene im Grunde auf etwas Inneres, ein Gefühl verweist, sich nach einer Art von
Wärme zu sehnen, besonders nach dem zuvor verlaufenden Gespräch zwischen den
beiden. Welches zuerst freundlich beginnt um dann als sie Henriks Einladung zum
Essen zu kommen ablehnt, vollkommen aus der Kurve gerät und Henrik sofort sein
gesamtes Auftreten ändert um schmierig und indiskret gegenüber Marianne zu
werden. Die ganze Haltlosigkeit und Verletztheit Henriks wird hier nochmals deutlich aber eben
auch zuerst die warme Seite des Mannes, der in der Kirche Bach spielt. Marianne
kommt in die Kirche, nicht aus einem bestimmten Grund, sondern weil auch sie
das Gefühl hat, Halt zu suchen und trifft ganz zufällig auf Henrik, was nochmal
ihre Rolle als Beobachterin verstärkt. Nachdem Henrik gegangen ist, sieht
Marianne sich über dem Altar das Bild des „Abendmahls“ an, hält inne und betet.
Es ist diese Suche nach Halt, die diese Szene auch an Licht im Winter erinnern läßt.
Diese Suche nach Halt spiegelt sich hier ganz besonders in
der Musik wieder, die innerhalb des Films oft diegetisch sowie nichtdiegetisch
eingesetzt wird. In dieser Bergman typischen Abwesenheit von Liebe, von Gott
fungiert die Musik wie ein letzter Rettungsanker. Ähnlich wie der Einsatz von
Bach in Das Schweigen, als alle im
Hotel gleichsam auf diesen Anker im Raum reagieren, steht die Musik für die
Suche nach Halt und alle geben sich hier der klassischen Musik auf
unterschiedlichste Weise hin. Auch Johan, der sich in seinem Haus in voller
Lautstärke in sie vertieft als er bei Bruckners 9. Sinfonie fast in den Boxen
verschwindet, könnte man dies im höheren Sinne als religiös begreifen, da diese
unvollendete Sinfonie dem „lieben Gott“ gewidmet ist. Doch Bergmans Filme sind
nicht religiös. Er beschreibt nur wofür diese Musik steht. Für Sinn,
Erkenntnis, Halt in einem Leben, wo all dies verloren gegangen ist.
Johan, der vollkommen entfremdet von der Wirklichkeit fragt,
was denn seine beiden Töchter machen, wird am Ende vom nackten Wind der
Gottlosigkeit dahingeworfen. Es ist dieStunde des Wolfs in der dem zynischen Misanthropen der nackte Angstschweiß
über die Glieder fährt und er sich hilflos, wie ein Kind, seiner Kleider
entledigt um Wärme bei Marianne im Bett zu suchen. Auch hier ein Verweis auf
das Ende von Szenen einer Ehe.
Doch der Graben zwischen ihnen ist mittlerweile durch die
vielen Gespräche und Geschehnisse zu tief und so breitet sich zwischen ihnen
ein langes, anhaltendes Schweigen aus.
Marianne reflektiert, im Epilog, die Wochen mit Johan und
ist fasziniert von der Ausstrahlung, die Anna auf die Familie hatte. Sie zieht
ein Fazit für sich und besucht ihre Tochter Martha um zu einer Erkenntnis von
Liebe zu kommen.
Auch in Sarabande sind die Themen wie Alter, Tod und Sterben
omnipräsent und Bergman behandelt sie hier mit der gleichen Intensität und Offenheit
wie in all seinen Filmen und doch ist dieser Film wärmer, im Grunde ein
Alterswerk im doppelten Sinn, was hauptsächlich an der Figur von Marianne
liegt, die uns durch dieses Jammertal leitet und als einzige bereit ist eine
Erkenntnis zu machen. Bergmans letzter Film ist auch kein Film, der durch seine
Ästhetik besticht. Die Kamera ist hier so gut wie nicht vorhanden, was durchaus
zum Nachteil gerät aber dennoch nicht weiter stört, da Sarabande mit seinen
vielen Querverweisen innerhalb der Dialoge und seinen überbordenden Bergman
Themen überzeugt. Sarabande blieb auch
Bergmans letzter Film. Im Alter von 89 Jahren starb Ingmar Bergman am 30. Juli
2007.
7-8/10
Sarabande ist zwar Bergmans letzter Film und eigentlich
müßte damit auch diese Reihe, die ich mit Andreas seit 2013 bestreite, zu Ende
sein, doch sie ist es nicht. Wer vielleicht in meinen letterboxd Einträgen oder
innerhalb der Monatslisten gesehen hat, fangen wir nochmal von vorne an und
arbeiten uns chronologisch durch alle Filme Bergmans, die uns zum damaligen
Zeitpunkt noch nicht zur Verfügung standen. Bald heißt es also hier auf
shortcutstotale : Bergman revisited.
Wie immer hinke ich den Einträgen hinterher. 4 Filme haben
wir schon gesehen. Demnächst dann Bergmans Debut Film „Kris“ von 1946.
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